Interview mit KI-Experte Georg Schlamp

Künstliche Intelligenz im Unterricht 

Mai 2023
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K. o. durch KI? Experte Georg Schlamp über die Vorteile und Herausforderungen von künstlicher Intelligenz in der Schule.

Georg Schlamp ist seit über 20 Jahren Lehrer für Englisch und Geographie, und das aus Leidenschaft. Er ist als Seminarlehrer am Gymnasium Neubiberg bei München in der Lehrerausbildung und als Referent in der Lehrerweiterbildung tätig. 2012 installierte er, ohne den Begriff „Digitalisierung“ zu kennen, einen Koffer mit 16 iPads an seiner Schule, in der Hoffnung, den Unterricht ein klein wenig zu verändern. Seitdem entwickelt er diesen weiter im Sinne einer zeitgemäßen Bildung in einer Kultur der Digitalität, die auch vor KI-Systemen keinen Halt macht. Im Rahmen der Innsbrucker Gespräche referierte Schlamp Mitte April zum Thema: Künstliche Intelligenz in der Schule. „Info“ hat ihn zum Interview gebeten. 

Wofür kann KI im Unterricht eingesetzt werden? 

Georg Schlamp: Oh, da gibt es viele Einsatzmöglichkeiten. Ich kann als Lehrkraft Tools wie zum Beispiel ChatGPT auf unterschiedlichste Art und Weise nutzen. So kann ich mir Texte und dazugehörige Fragen erstellen lassen, Lückentexte, Rollenspiele, verschiedene Aufgabenformate und sehr viel mehr. Natürlich muss ich die Ergebnisse immer noch überarbeiten und an meine Lerngruppe anpassen. Wir können und sollten vielmehr Tools als Werkzeuge nutzen, um den Schülerinnen und Schülern einen bewussten, kritischen und sinnhaften Umgang damit zu ermöglichen.  

Was meinen Sie damit?

Unsere nutzen viele der Tools bereits oder werden sie in Zukunft verstärkt nutzen. Das ist eine Entwicklung, die sich nicht aufhalten lässt. Wir müssen ihnen also zeigen, wo die Möglichkeiten und wo die Risiken liegen. Wenn man Werkzeuge wie ChatGPT sehr unkritisch nutzt, dann wird man keinen Lernzuwachs erreichen. 

Diese Kombination der Werkzeuge kann man den Schülerinnen und Schülern nahelegen, um das kritische Hinterfragen, das immer wichtiger wird, zu trainieren. Man muss ihnen immer bewusst machen, dass die KI ein Werkzeug ist, das den Kompetenzerwerb nicht ersetzt. 

Inwiefern?

Das Tool in der Version 3.5 basiert auf einer Datenlage von September 2021 und schreibt Texte, indem es Wahrscheinlichkeiten berechnet, und nicht, indem es logische Sätze formuliert. Wie ein Papagei, der toll spricht, aber nicht weiß, wovon. Wenn es etwas nicht beantworten kann, erfindet es Dinge. In der am 14.3.23 veröffentlichten Version GPT-4, die bisher nur für bezahlende Nutzer zugreifbar ist, hat sich einiges verbessert, aber auch hier ist der Datenstand nicht aktueller und nicht alles ist immer verlässlich. Eine aktuelle Untersuchung hat ergeben, dass in Version 4 sogar noch mehr erfunden wird als vorher. Sucht man zum Beispiel nach Quellen, so passiert es oft, dass von den angebotenen Ergebnissen weder Verfasserin/Verfasser noch Text in Wirklichkeit existieren.  Auch sind die Texte von eher durchschnittlichem Niveau. Man muss es dann zum Beispiel kombinieren mit perplexity.ai, das auf Quellen aus dem Internet zugreift. Diese Kombination der Werkzeuge kann man den Schülerinnen und Schülern nahelegen, um das kritische Hinterfragen, das immer wichtiger wird, zu trainieren. Man muss ihnen immer bewusst machen, dass die KI ein Werkzeug ist, das den Kompetenzerwerb nicht ersetzt. 

KI-Experte Georg Schlamp
KI-Experte: Georg Schlamp

Was sind die Nachteile? 

Es ist natürlich verführerisch, seine Hausaufgaben, Hausarbeiten usw. von der KI erledigen zu lassen. Dies führt aber einerseits dazu, dass schwächere Schülerinnen und Schüler möglicherweise noch weniger lernen. Bessere Schülerinnen und Schüler nutzen verschiedene Werkzeuge andererseits geschickt, um dann möglicherweise sogar mehr Zeit zu haben, andere Inhalte zu vertiefen. So geht unsere Bildungsschere noch weiter auseinander. Es ist also dringend nötig, dass wir allen Schülerinnen und Schülern einen sinnvollen und kritischen Umgang mit den Tools ermöglichen. Wer seine Texte mit DeepL einfach in die Fremdsprache übersetzen lässt und sich nicht mehr selbst mit Sprache beschäftigt, wird seine Kompetenzen nicht verbessern. Wer allerdings zum Beispiel languagetool.org nutzt, um an seinen Texten, seiner Sprachkompetenz zu arbeiten, macht sicher Fortschritte. Ich darf daran erinnern: Von ChatBots produzierte Ergebnisse sind oft von eher mittelmäßigem Niveau und teilweise inhaltlich einfach falsch. 

Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? 

Der Datenschutz ist natürlich ein grundsätzliches Problem. Für einen Account bei ChatGPT muss ich eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer angeben, das geht in der Schule natürlich nicht. Alle meine Eingaben werden gespeichert und eventuell zu Trainingszwecken verwendet. Ebenso stecken hinter allen Anwendungen kommerzielle Interessen. All das müssen die Schülerinnen und Schüler natürlich auch wissen. Das Account-Problem löse ich, indem ich ein paar Dummy-Accounts angelegt habe, die ich der Lerngruppe zur Verfügung stelle. Das Kommerzielle gehört zum Bereich „kritisches Hinterfragen“. 

Gibt es Programme, die Sie besonders empfehlen? 

Es gibt sehr viele. Empfehlen möchte ich vor allem, sich mit den Dingen zu beschäftigen, sie auszuprobieren und die unterschiedlichen Eigenheiten zu testen. Es gibt Sprachgeneratoren wie ChatGPT oder demnächst Bard von Google, BingChat, die Suchmaschine von Microsoft, die in einem Beta-Status schon Internetsuche mit dem ChatBot kombiniert. Auch die bildgebenden KIs wie midjourney, Dall-E oder stablediffusion, um nur einige zu nennen, machen viel Spaß. Es sind aber viele Dinge zu beachten, nicht zuletzt das Urheberrecht.  

Wie kann Chat-GPT gut im Unterricht eingesetzt werden? 

Da sind die Möglichkeiten vielfältig. Man kann es zur Recherche nutzen und Ergebnisse mit perplexity.ai oder anderen Tools überprüfen lassen. Ich habe mir den Bot neulich in den Unterricht geholt und ihn die Rolle eines Pilgrim Fathers aus dem 17. Jahrhundert annehmen lassen, so dass die Schülerinnen und Schüler Fragen stellen konnten. In Deutsch haben wir eine Rede von Frank Walter Steinmeier zum Holocaust-Gedenktag mit einer von der KI generierten Rede vergleichen lassen. Die Lernenden erkennen so die Schwächen des Bots und erarbeiten gleichzeitig, was eine gute Rede ausmacht. Und es gibt noch so viel mehr… 

Ja, natürlich laden die herkömmlichen Aufgabenformate teilweise zum Schummeln ein. Eine Konsequenz darf aber nicht sein, jetzt Aufsätze wieder in der Schule und nur mit der Hand schreiben zu lassen und die KI zu verbieten.

Sind die Ängste von Lehrendenseite, dass dadurch nichts gelernt wird bzw. geschummelt werden kann, berechtigt? 

Ja, natürlich laden die herkömmlichen Aufgabenformate teilweise dazu ein. Eine Konsequenz darf aber nicht sein, jetzt Aufsätze wieder in der Schule und nur mit der Hand schreiben zu lassen und die KI zu verbieten. Vielmehr müssen wir den Umgang thematisieren und die Aufgaben- und Prüfungskultur weiterentwickeln. Mehr Formatives Assessment, mehr Prozessbegleitung, mehr Mündlichkeit, mehr Medienwechsel innerhalb einer Aufgabenstellung sind da nur einige wichtige Elemente. 

Damit ein kritischer und reflektierter Umgang mit KI im Bildungssystem ermöglicht wird, müssen sowohl Lernende wie Lehrende medial geschult werden. Sollte mediale Bildung ein eigener Unterrichtsgegenstand werden?  

Ich bin kein Freund davon, immer nach neuen Fächern zu rufen. Vielmehr sollten wir in allen Fachbereichen darauf achten, den Unterricht, das Lernen zu verändern und die Kinder und Jugendlichen auf ein Leben in einer von Digitalität geprägten Welt vorzubereiten. Dazu braucht es an jeder Schule ein Umdenken, verpflichtende Medien- und Methoden-Curricula und Fortbildungen für die Lehrkräfte. Mediale Bildung und Lernen für eine Kultur der Digitalität müssen in allen Fächern stattfinden. 

Wie können Lehrende und Lernende digital und medial weitergebildet werden? 

Es braucht viele praxisnahe Fortbildungsangebote. Nicht Tool-Schulungen, sondern Beispiele, wie ich meinen Unterricht so gestalte, dass die Schülerinnen und Schüler auf die Gegenwart (nicht die Zukunft) vorbereitet werden – schulintern in kleinen Häppchen sowie regional übergreifend. Dazu braucht es aber auch Zeit und Entlastung für die Lehrpersonen. Die Welt ist anders als die, die wir Lehrkräfte als Schülerinnen und Schüler kennengelernt haben. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. 

Wieso ist es wichtig, dass sich der Unterricht und das Lernen digital weiterentwickelt? 

Wir müssen unseren Schülerinnen und Schülern ermöglichen, in einer von Digitalität, Komplexität und Unsicherheit geprägten Welt ein glückliches und zufriedenes Leben zu führen, die Welt mitzugestalten. Dazu brauchen sie in erster Linie Fähigkeiten zur Kommunikation und Kollaboration, ein kritisches Hinterfragen von Informationen und Ideen genauso wie ein Verständnis von Mechanismen und Algorithmen und nicht zuletzt die Fähigkeit, kreativ mit Problemen und Herausforderungen und auch mit Werkzeugen wie der KI umzugehen. 

  • Anm. d. Red.: Anfangs April wurde ChatGPT unter Angabe von Datenschutzbedenken in Italien gesperrt. Das Verbot der Nutzung wird nun kontrovers innerhalb und außerhalb des Landes diskutiert.

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