Die Gaia-Schule in Pontives
„Lernen fürs Leben“

Die Gaia-Schule in Pontives wurde 2021 gegründet und bezogen auf die Grundschule kürzlich von der Deutschen Bildungsdirektion anerkannt. Sie setzt auf Montessori- und Wildnispädagogik – mit Fokus auf Potenzialentfaltung, Naturverbundenheit und friedliches Miteinander.
Die Gaia-Schule in Pontives wurde aus dem Wunsch heraus gegründet, Schule neu zu denken. „Der Druck, der Stress, die Angst zu versagen – all das wollten wir hinter uns lassen“, sagt Isabella Mussner. Die Ideatorin spricht von einem jahrelangen Reifungsprozess, aus dem eine Schule entstanden ist, die Kindern auf Augenhöhe begegnet. Die pädagogischen Leitlinien reichen von Montessori über Wildnispädagogik bis zu einem ganzheitlichen Sprachenkonzept. Was das bedeutet, wird schnell klar: Unterricht findet unter anderem auch bei Schneefall im Wald statt. Die Kinder entscheiden selbst, was sie lernen – und wann. Die Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter sind in erster Linie da, um Begeisterung zu wecken, und weniger, um Wissen abzufragen
Mussner betont: „Bei uns steht nicht der Stoff im Mittelpunkt, sondern das Kind.“ In altersgemischten Gruppen, mit viel Naturkontakt, Raum für Gefühle und echten Fragen lernen Kinder, die eigene Stimme zu finden – und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Die Anerkennung durch die Bildungsdirektion war ein Meilenstein für das Projekt. Die Nachfrage ist groß, doch der Platz ist begrenzt. Im Interview spricht Isabella Mussner über Herausforderungen, Visionen und darüber, warum sie glaubt: „Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir bei der Bildung anfangen.“

INFO: Wie ist die Idee zur Gründung der Schule Gaia entstanden?
Isabella Mussner: Im Herbst 2021 haben wir das Projekt Gaia ins Leben gerufen. Die Idee hat sich aber schon viel früher entwickelt – über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren. Sie entstand aus Visionen, aus Träumen, aus Gesprächen und aus der intensiven Auseinandersetzung mit den großen Fragen unserer Zeit. Viele Menschen, die heute Teil des Projekts sind, haben lange darüber nachgedacht, wie unsere Gesellschaft funktioniert – und was in ihr nicht funktioniert. Übermäßiger Konsum, permanenter Konkurrenzdruck, Stress – all das führt zu einem psychologischen und auch körperlichen Unwohlsein.
Wenn wir global denken, sehen wir, wie sehr die Natur wegen uns Menschen belastet wird, wie ungerecht es ist, dass viele Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht decken können. Wir wollten das nicht einfach hinnehmen. Unsere Antwort war: Lasst uns bei der Bildung anfangen, bei den Jüngsten. Denn das sind die Jahre, die einen Menschen am stärksten prägen. Maria Montessori sagt: „Wenn es irgendeine Hoffnung auf Rettung und Hilfe für die Menschheit gibt, dann kommt diese Hilfe nicht weniger als vom Kind.“
2019 kamen einige von uns in Gröden zusammen – mit dem Gefühl, dieselben Werte und dieselbe Vision zu teilen. Daraus ist nach und nach das Gaia-Projekt entstanden. Ziel war es, Orte zu schaffen, an denen Kinder in ihrer Einzigartigkeit gesehen und angenommen werden, an denen Liebe zu sich selbst, zu anderen und zur Welt wachsen kann. Heute bieten wir in Pontives Kindergarten, Grund- und Mittelschule an – als Begegnungsorte, an denen Kinder in ihrem Tempo wachsen dürfen.
Was war die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Projekts?
Ganz klar: Mit dem Tempo der Kinder mitzugehen. Sie wachsen so schnell – und wir mussten als Organisation Schritt halten. Wir sind mit einer altersgemischten Kindergruppe gestartet, und bald wurde klar: Die Jüngsten brauchen einen eigenen Raum, eine auf ihr Alter abgestimmte Umgebung. So entstand im zweiten Jahr der Kindergarten. Dann standen die Ältesten vor dem Wechsel in eine öffentliche Mittelschule – das war für uns keine Option. Also begannen wir auch mit dem Aufbau der Mittelschule. Es war unmöglich, einfach zu sagen: Wir planen ein Jahr und machen dann weiter. Alles passiert gleichzeitig – das erfordert sehr viel Kraft, Motivation und Leidenschaft.
Welche Werte und pädagogischen Prinzipien stehen hinter Gaia?
Unser zentrales Ziel ist der Aufbau einer Friedenskultur. Wir orientieren uns an der Montessori- und Wildnispädagogik, fördern die Mehrsprachigkeit und stellen das Kind in den Mittelpunkt seines Lernprozesses. Es geht darum, das natürliche Interesse und die intrinsische Motivation zu bewahren. Kinder lernen nach ihrem eigenen Tempo und ihren individuellen Bedürfnissen, in altersgemischten Gruppen, ohne Konkurrenzdruck. Nicht nur „was“ sie lernen ist entscheidend, sondern auch „wie“ sie lernen können.
Außerdem haben wir ein starkes Augenmerk auf soziale und emotionale Entwicklung. Dazu gehört „Herzensbildung“: Ein fester Bestandteil unseres Schulalltags, in dem wir gezielt Gefühle wahrnehmen, ausdrücken und Konflikte lösen lernen. Unser gesamtes Leitbild kann als Bündel an präventiven Maßnahmen verstanden werden – kontinuierlich, nicht punktuell. Auch die Sprache ist uns wichtig: Wir fördern das Sprachbewusstsein und lehnen uns an die integrale Sprachendidaktik an. Das bedeutet: Sprachen werden nicht getrennt, sondern in Beziehung zueinander gelernt.

Welche Lehrmethoden kommen zum Einsatz?
Wir setzen auf praxisnahe, lebensnahe, anschauliche Methoden – wie es auch die moderne Hirnforschung empfiehlt. Ein zentrales Element in der Wildnispädagogik ist das sogenannte Coyote Teaching: Es geht darum, nicht sofort Antworten zu geben, sondern Fragen zu stellen, die die Wahrnehmung schärfen und ein tiefes Lernen ermöglichen.
Ein Beispiel: Wenn ein Kind mir eine Feder zeigt, frage ich: „Was war in ihrer Nähe?“ Wenn es das nicht weiß, geht es nochmal zurück, beobachtet genauer, lernt mehr. Der Lernprozess wird vertieft. Das Kind erfährt, wie alles zusammenhängt. Die Natur wird so zum Ort des Staunens, Lernens und Seins.
Wie sieht ein typischer Schultag aus?
Die Kinder kommen zwischen 7.50 und 8.15 Uhr und starten direkt in die Freiarbeit. Drei Stunden lang wählen sie Tätigkeiten, die sie interessieren, arbeiten eigenständig oder mit anderen, in ihrem Tempo. Sie teilen sich auch die Pause selbst ein. Danach geht es in den Garten – Bewegung, frische Luft!
Später treffen wir uns im Kreis: Singen, Reimen, Erzählen, Entscheiden, Präsentieren. Danach folgen Bastel- und Werkzeiten oder „Herzensbildung“. Drei Mal pro Woche geht es in den Wald. Dort erleben die Kinder Natur hautnah – und lernen dabei für Leben und Gemeinschaft.
Welche Rolle spielt die Natur im Konzept?
Eine zentrale. Die Kindergartenkinder gehen täglich in den Wald, die Schulkinder drei Mal pro Woche. Es geht nicht nur um Wissen über die Natur, sondern um Beziehung. Wir wollen, dass die Kinder ein tiefes Umweltbewusstsein entwickeln – nicht über Begriffe, sondern durch Erleben. „Nur was du kennst, schützt du“, heißt es – und genau so ist es.
Wie wird auf individuelle Bedürfnisse eingegangen?
Durch die vorbereitete Umgebung und individuelle Lernbegleitung. Jedes Kind bekommt Materialien, die zu seinem Lerntyp passen. Es darf in seinem Rhythmus lernen, schnell oder langsam. Die Begleitpersonen sind wach, offen und präsent. So entstehen wunderbare Momente, in denen man sieht: Jetzt ist ein Lernerfolg da. Das ist berührend – und bestärkt uns in dem, was wir tun.
Was bedeutet die Anerkennung durch die Bildungsdirektion?
Viel! Wir müssen keine jährlichen Eignungsprüfungen mehr machen – das war für die Familien und dem Team belastend. Die Schule hat nun mehr Glaubwürdigkeit, das zieht neue Familien an. Und: Wir erhalten Beiträge. Die Löhne unserer Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter steigen – wenn auch immer noch unter dem öffentlichen Niveau. Aber: Es braucht Idealismus, um bei Gaia zu arbeiten. Dafür sind wir sehr dankbar.

Gab es Hürden bei der Anerkennung?
Ja. Zuerst haben wir bei der ladinischen Bildungsdirektion angesucht. Doch dann haben wir den Standort nach Pontives gewechselt. Was wir nicht wussten: Pontives gehört zur Gemeinde Lajen und gehört somit nicht mehr zum ladinischen Einzugsgebiet. Das hat alles um ein Jahr verzögert. Danach haben wir den Prozess mit der deutschen Landesschuldirektion eingeleitet – erfolgreich.
Wie geht es weiter?
Im Herbst sind wir mit der ersten Mittelschule nach Montessoris Erdkinderplan in Südtirol gestartet. Langfristig wollen wir eine durchgehende Schule bis zum 18. Lebensjahr aufbauen. Wir orientieren uns dabei an den Entwicklungsphasen der Kinder – und an dem, was sie wirklich brauchen.
Wie ist die Resonanz?
Die Kinder kommen gern. Manche fragen in den Ferien, wann endlich wieder Schule ist – das ist das schönste Kompliment. Die Eltern sind sehr zufrieden. Klar, einige sind auch gegangen – wir sind im Aufbau, nicht alles läuft immer perfekt. Aber jetzt sind wir stabiler unf die Familien dankbar. In der Öffentlichkeit gab es auch Kritik – aber mit der Anerkennung hat sich viel geändert. Viele haben Vorurteile, wissen gar nicht, was wir tun. Der Tag der offenen Tür am 10. Mai soll das ändern.
Gibt es schon eine Warteliste?
Die Grundschule ist beinahe voll. Es gibt einige Anfragen, die wir gerade prüfen.
Gibt es Austausch mit anderen Schulen?
Ja. Wir sind mit anderen Privatschulen vernetzt, tauschen uns aus – auch über bürokratische Fragen. Außerdem hospitieren wir in Österreich und der Schweiz. Diese Kontakte sind wichtig. Sie geben Kraft – und neue Ideen.