Interview mit Silvia Cadamuro

„Wir bleiben dran: liebevoll und hartnäckig“

Dienstag, 13.5.2025

Silvia Cadamuro ist die neue Vorsitzende des Landesbeirats der Eltern in Südtirol (oben links mit ihrer Stellvertreterin Sonja Spitaler). Sie ist gleichzeitig Lehrperson und Elternteil. Im INFO-Interview spricht sie über ihre Motivation, aktuelle Herausforderungen und ihre Visionen für die Bildungslandschaft.

INFO: Frau Cadamuro, was hat Sie dazu bewogen, sich für das Amt der Vorsitzenden des Landesbeirats der Eltern zu bewerben?
Silvia Cadamuro: Meine Tochter besucht die dritte Klasse der Grundschule, ich war Elternvertreterin und bin so mit dem Landesbeirat der Eltern (LBE) in Kontakt gekommen. Während der Pandemie wurde mir bewusst, wie wichtig dieser Austausch ist. Die fast 100 Delegierten des LBE vertreten sehr viele Eltern – auch viele Familien mit mehrsprachigem Hintergrund.

Beeindruckt hat mich auch meine Direktorin Liselotte Niederkofler, die mit Zivilcourage Probleme offen anspricht. Sie hat mich motiviert. In Bozen beobachten viele Familien, dass der Anteil deutschsprachiger Kinder in den Kindergärten und Pflichtschulen abnimmt. Aus diesem Grund ziehen jährlich etwa 70 bis 80 Familien in umliegende Orte, in denen Deutsch stärker präsent ist. Diese Problematik, meine persönliche Situation und das Vorbild meiner Direktorin und deren Vorgängerin haben mich bestärkt. Mehrere erfahrene Kolleginnen und Kollegen des Vorstands haben mich schließlich überzeugt, den Vorsitz zu übernehmen.

Welche Erfahrungen bringen Sie mit, die Ihnen in dieser Rolle helfen werden?
Ich habe ein tolles Team im Vorstand, das sich bestens auskennt. Zum Beispiel beim Thema Schulgebäude und Sicherheit wurde sofort die Idee eingebracht, einen Förderverein zu gründen, der kleinere Reparaturen übernimmt – weil öffentliche Aufträge oft zu lange dauern.

Ich bin Mutter, interessiere mich sehr für Bildungsthemen und habe viele starke Frauen als Vorbilder. Ich unterrichte Englisch am Gymnasium „Walther von der Vogelweide“ in Bozen und setze regelmäßig Italienisch, Spanisch oder Französisch im mehrsprachigen Unterricht ein. Sprachförderung ist mir sehr wichtig, aber noch wichtiger ist mir, dass die Sozialisation der Kinder gelingt – sie sollte vor der Sprachförderung kommen.

Früher war ich in einer Schulgewerkschaft aktiv und engagierte mich in verschiedenen Vereinen, zum Beispiel in einem elterngeführten Kindergarten. Diese Erfahrungen helfen mir auch heute bei der Organisation meiner Arbeit.

Silvia Cadamuro

Wie haben Sie die ersten Wochen als Vorsitzende erlebt?
Ich wurde von vielen Eltern unterstützt, sie haben mir gezeigt, wie die Landespresseagentur funktioniert, ich habe Politikerinnen und Politiker getroffen und die ehemalige Vorsitzende stand mir beratend zur Seite. Der LBE ist ein beratendes Gremium – aktuell arbeiten wir unter anderem mit politischen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen, der Landeskindergartendirektorin Helena Saltuari, den Schulführungskräften und Lehrpersonen der Grundschulen daran, wie wir den Übergang der Kinder vom Kindergarten in die Schule verbessern können, etwa durch intensivere Sprachförderung oder bedarfsorientierte Übertrittsdokumente, damit Kinder, die Unterstützung brauchen, diese auch bekommen.

Viele Eltern bringen gute Ideen ein – ich höre zu, verfolge Vorschläge weiter, suche Synergien. Andere aktuelle Themen sind die Sommerbetreuung und die einheitlichen Bildungszeiten mit gleitenden Eintrittszeiten an Schulen. Dafür werden derzeit Pilotschulen gesucht.

Welche Themen beschäftigen Eltern in Südtirol aktuell am meisten?
Das größte Problem ist die Sommer- und Ferienbetreuung. Jedes Jahr stehen wir spätestens im Juli und August vor denselben Herausforderungen, weil es noch kein Gesamtkonzept gibt. Es gab zwar eine Initiative der Landesräte Philipp Achammer und Rosemarie Pamer zur besseren Verschränkung von Betreuung (Freizeit) und Schule, aber die Verantwortung wurde den Gemeinden und Vereinen überlassen – und die sind oft überfordert.

Es braucht ein landesweites Gesamtkonzept. In Bozen gibt es mit der Kinderstadt MiniBZein besonders gelungenes Beispiel für über 1.000 Kinder, das vom VKE (Verein für Kinderspielplätze und Erholung) organisiert und von Gemeinde, Land und Sponsoren unterstützt wird – aber der bürokratische Aufwand ist enorm. Um den Sommer abzudecken, brauchen wir eine Vision und klare Linien, wie so ein System funktionieren kann. MiniBZ kann hier als Vorbild dienen.

Wenn Kinder sprachlich nicht mitkommen, entsteht schnell Einsamkeit und Frust– das kann zu größeren Problemen führen. Das gilt für Flüchtlingskinder wie auch für unsere Kinder.

Gibt es bestimmte Schwerpunkte, die Sie während Ihrer Amtszeit setzen möchten?
Ich möchte, dass Sprachförderung an Kindergärten und Brennpunktschulen besser funktioniert – und dass die Sozialisation der Kinder gestärkt wird. Beides muss professioneller aufgestellt werden. Als Sprachlehrkraft weiß ich aus eigener Erfahrung: Wenn Kinder sprachlich nicht mitkommen, entsteht schnell Einsamkeit und Frust– das kann zu größeren Problemen führen. Das gilt für Flüchtlingskinder wie auch für unsere Kinder.

Weiters gilt es, unterschiedliche Problemlagen sichtbar zu machen – gerade im Gegensatz zur Tendenz, Missstände schönzureden. In Südtirols Kindergärten und Schulen funktioniert vieles sehr gut, doch was noch nicht rund läuft, müssen wir konkret und lösungsorientiert angehen – mit Herz und Verstand, etwa bei der Instandhaltung von Schulgebäuden.

Wie steht der Landesbeirat zu Themen wie Digitalisierung im Unterricht, Hausaufgabenbelastung oder psychische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern?
Zum Thema Umgang mit digitalen Medien bieten die Schulen bereits viele Fortbildungsangebote für Eltern und Erziehungsverantwortliche an und wir haben im LBE eine eigene Arbeitsgruppe Digitalisierung, die auch schon online Fortbildungen angeboten hat. Einige Mittelschulen haben bereits einen Smartphone-Führerschein eingeführt – das unterstützen wir.

Für Eltern ist es extrem schwierig und zeitaufwändig, den Überblick bei der Digitalisierung zu behalten. Wir möchten sie dabei bestmöglich unterstützen, damit sie ihre Kinder schützen können. Als Lehrperson mache ich regelmäßig Umfragen unter meinen Schülerinnen und Schülern – viele sagen selbst, dass der Umgang mit dem Handy problematisch ist. Weitere Themen, die uns Eltern beschäftigen, sind die Herausforderungen rund um Pubertät und Sexualität sowie das Erwachsenwerden, auch wie wir Schulabbruch entgegenwirken können, weil sich Schülerinnen und Schüler nicht mehr wohlfühlen. Dazu braucht es dringend mehr Schulpsychologinnen und Schulpsychologen.

Auch die Hausaufgabenbelastung ist ein großes Thema, die gilt es gekonnt mit den betroffenen Lehrpersonen und Klassenräten zu besprechen, wir geben dazu Tipps. Prinzipiell braucht es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Anspannung und Entspannung.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Schulen und anderen Bildungsinstitutionen?
Wir achten als LBE darauf, im Schulrat unserer Schule mit Eltern und an der Oberschule auch mit Schülerinnen und Schülern vertreten zu sein. Jeder und jede Delegierte nimmt vier bis fünf Mal im Jahr an Schulratssitzungen teil. Es ist wichtig, dass wir uns dort orientieren und auch einbringen – sonst gehen wichtige Anliegen verloren.

Wir wünschen uns auch, dass die zukünftigen Lehrpersonen an der Universität besser auf zwischenmenschliche Belange ausgebildet werden. Das Fachliche klappt meist, aber die psychische Gesundheit unserer Kinder braucht ein besonderes Augenmerk.

Wir sind auch mit anderen Institutionen im Austausch, wie der Allianz für Familie oder dem Südtiroler Jugendring.

Ziel ist es, jemanden anzustellen, der handwerkliche Arbeiten übernimmt – oder dass Eltern oder auch Schülerinnen und Schüler selbst aktiv werden. So könnten auch schulinterne Projekte umgesetzt werden.

Gibt es bereits konkrete Projekte oder Initiativen, an denen der Landesbeirat arbeitet?
Ja, wie schon gesagt, arbeiten wir aktuell an der Idee, Fördervereine zu gründen, die in den nächsten Monaten konkretisiert werden soll. Ziel ist es, jemanden anzustellen, der handwerkliche Arbeiten übernimmt – oder dass Eltern oder auch Schülerinnen und Schüler selbst aktiv werden. So könnten auch schulinterne Projekte umgesetzt werden.

Ein weiteres Anliegen ist, dass im Falle von Trennung oder Scheidung beide Elternteile von der Schule informiert werden und nicht ein Elternteil ausgeschlossen wird. Auch Familien mit Beeinträchtigungen wollen wir verstärkt unterstützen.

Was wünschen Sie sich langfristig für die Bildungslandschaft in Südtirol?
Bildung ist Zukunftssicherung. Es geht um die soziale und berufliche Zukunft unserer Kinder. Die Bildungslandschaft muss die Voraussetzungen schaffen, damit diese Zukunft gelingt.

Welche Rolle spielen Eltern Ihrer Meinung nach in der Schulentwicklung?
Eine viel größere, als man denkt. Jede Mutter, jeder Vater, der zur Lehrkraft geht und sagt: „Mein Kind braucht das und das“, bewirkt schon etwas – das ist die Mikroebene. Aber die ist genauso wichtig wie die großen Strukturen.

Wir haben in Südtirol unglaublich engagierte Eltern. Meine Aufgabe ist es, diese Energie und Ideen zu bündeln und weiterzutragen. Und das tun wir – liebevoll und hartnäckig.

INFO Redaktion

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