Ethikunterricht im SSP Bozen Europa   

„Ethikunterricht als Schlüssel der multikulturellen Bildung!“ 

Dienstag, 23.4.2024
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David Augscheller leitet seit 2020 den Schulsprengel SSP Bozen Europa, an dessen Schulen Ethik als eigenständiges Fach im Lehrplan alternativ zum Religionsunterricht angeboten wird. Im Interview mit INFO enthüllt der Direktor die Vorteile eines Ethikunterrichts in einer multikulturellen Schulgemeinschaft.

INFO: Könnten Sie uns einen Überblick darüber geben, wie der Ethikunterricht am SSP Bozen Europa umgesetzt wird?

David Augscheller: Wir haben etwa 50% der Schülerinnen und Schüler, die von der Religionsbefreiung Gebrauch machen. Das bedeutet, dass sie den Alternativunterricht Ethik an unseren Schulsprengeln besuchen, also an den Grundschulen Alexander Langer und Pestalozzi sowie an der Mittelschule Albert Schweitzer. Im Durchschnitt nehmen etwa 50% der Schülerinnen und Schüler am Ethikunterricht teil, während die anderen 50% den Religionsunterricht besuchen. Bei uns im Sprengel wird der Ethikunterricht grundsätzlich als LER bezeichnet. Das steht für Lebensgestaltung, Ethik und Religionen und definiert die grundlegenden Richtlinien und Rahmenbedingungen für dieses Fach. Dabei geht es um die Vermittlung von diversen Kompetenzen, Menschenrechtsbildung, Toleranz und Solidarität sowie um die Verbreitung von Werten. Darüber hinaus wird auch ein interreligiöser Dialog gefördert, der das gegenseitige Kennenlernen, Verständnis und die Entdeckung von Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Religionen beinhaltet. Dieser Rahmen bildet die Grundlage für unseren Unterricht. 

Direktor David Augscheller

Gibt es Unterschiede in der Umsetzung des Ethikunterrichts im Vergleich zum Religionsunterricht? 

Ja, grundsätzlich ist der Religionsunterricht als katholischer Religionsunterricht definiert. Allerdings ist heutzutage der katholische Religionsunterricht nicht ausschließlich an eine bestimmte Religion gebunden – er zielt darauf ab, Werte zu vermitteln, die in vielen Kulturen grundsätzlich vorhanden sind, wie Toleranz und Solidarität. Der Ethikunterricht ist im Kern nicht konfessionell gebunden, was einen wesentlichen Unterschied ausmacht, auch wenn es Schnittpunkte und Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Religionen und Ethik gibt. Der Ethikunterricht hingegen ist nicht konfessionell gebunden, er ist areligiös und strebt einen weltlichen Blickwinkel an, während er den interreligiösen Diskurs fördert. 

Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler auf den Ethikunterricht und welche Rückmeldungen haben Sie von ihnen erhalten?

Die meisten Rückmeldungen fallen sehr positiv aus. Viele Familien entscheiden sich bewusst dafür, ihre Kinder am Ethikunterricht teilnehmen zu lassen. Diese Entscheidung betrifft nicht nur Familien mit Migrationshintergrund, sondern auch deutsch- und italienischsprachige Familien, die einen nicht-konfessionellen Unterricht bevorzugen. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Lehrkräfte erfahren und empathisch sind, was besonders in Fächern wie Ethik hilfreich ist. Sie sind sensibel und decken eine Vielzahl von Aspekten ab, was im Grunde eine Form der Menschenrechtsbildung ist, die wir brauchen   und grundsätzliche auch von den Menschenrechten gefordert wird. 

In einem so vielfältigen kulturellen Kontext wie unserem, in dem die Schülerinnen und Schüler aus etwa 50 verschiedenen Herkunftsländern stammen, spielt Ethik eine entscheidende Rolle.

Welche Rolle spielt der Ethikunterricht im Kontext der multikulturellen und multireligiösen Schülerschaft der Schule?

Eine große! In einem so vielfältigen kulturellen Kontext wie unserem, in dem die Schülerinnen und Schüler aus etwa 50 verschiedenen Herkunftsländern stammen, spielt Ethik eine entscheidende Rolle. Sie übernimmt die wichtige Aufgabe des Dialogs zwischen den Kulturen und Weltanschauungen und bietet dabei Informationen an. Die Lernenden entdecken dabei Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Religionen wie Islam, Christentum und Judentum. Ein Beispiel hierfür wäre das Fasten in der Osterzeit und der Ramadan im Islam. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, insbesondere in der Mittelschule einen dialogischen Ethik-Religionsunterricht anzubieten. Dabei handelt es sich um Stunden, die fächerübergreifend zwischen Religion und Ethik abgehalten werden und in denen Themen wie das Fasten und bestimmte Werte diskutiert werden. Der Ethikunterricht fungiert in einem solchen Kontext als Bindeglied und hilft den Kindern, insbesondere in schwierigen Situationen wie dem aktuellen Nah-Ostkonflikt, Empathie und Sensibilität zu entwickeln.  

Es bedarf definitiv klarer Richtlinien, wer dieses Fach unterrichten darf, da besondere Unterrichtskompetenzen erforderlich sind, die sich von anderen Fächern unterscheiden.

Welche Herausforderungen gibt es möglicherweise bei der Umsetzung des Ethikunterrichts und wie werden diese bewältigt?

Die größte aktuelle Herausforderung liegt meiner Ansicht nach im Personalbereich. Im SSP haben wir derzeit keine spezialisierten Ethik-Lehrkräfte. Das bedeutet, dass wir bei unserem Schulversuch, den wir seit vielen Jahren vorantreiben, stets darauf achten müssen, genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung zu haben. Es bedarf definitiv klarer Richtlinien, wer dieses Fach unterrichten darf, da besondere Unterrichtskompetenzen erforderlich sind, die sich von anderen Fächern unterscheiden. Es erfordert spezifisches Fachwissen sowie didaktisch-pädagogische Kompetenzen. Wir verfügen nicht über eine Liste von Kandidatinnen und Kandidaten, aus der wir Lehrkräfte auswählen können; stattdessen sind es Lehrkräfte, die ein Interesse daran haben,  dieses Fach zu unterrichten. Glücklicherweise sind diese Lehrkräfte jedes Jahr wieder bereit, das Fach Ethik r zu übernehmen. 

Redaktion INFO