Interview mit Raphael Donati

„Unterstützte Kommunikation“: Es kann jedem Menschen passieren, dass er nicht (mehr) sprechen kann

Donnerstag, 10.7.2025

Raphael Donati bietet Workshops zu „Unterstützter Kommunikation“ an Schulen und Bildungshäusern an. Er leistet damit wertvolle Sensibilisierungsarbeit zum Thema Inklusion. INFO digital hat mit ihm über die Workshops gesprochen und erfahren, wie er als junger Mann ohne Lautsprache sein Leben meistert.

INFO: Was ist dir bei deinen Vorträgen und Workshops wichtig?

Raphael Donati: Für mich ist die Sensibilisierungsarbeit ein großes Thema, denn ich habe während meiner Schulzeit immer wieder mitbekommen, dass zwar viel von Inklusion in der Schule gesprochen wird, doch sind die Berührungsängste sehr groß. Und nur, wenn man es schafft, diese abzubauen, kann Inklusion gelingen. Oft liegt es auch daran, dass die Menschen unsicher sind, weil sie zu wenige Informationen haben oder sich nicht zuständig fühlen und deshalb ist mir die Aufklärungsarbeit besonders wichtig.

Ich finde, dass man offen über die verschiedenen Arten von Behinderung reden sollte. Wenn sich jemand beispielsweise mittels „Unterstützter Kommunikation“ verständigt, dann sollten alle wissen, welche Hilfsmittel diese Person verwendet und es ist wichtig, dass diese Hilfsmittel auch griffbereit sind und dass die Menschen wissen, worauf bei „Unterstützter Kommunikation“ geachtet werden muss. Im Vergleich zu Erwachsenen erlebe ich Kinder und Jugendliche meistens sehr offen.

Wie kann man sich einen Workshop mit dir vorstellen?

Raphael Donati: Ich erzähle den Schülerinnen und Schülern aus meinem Leben und wie ich mich der Welt mitteile. Ich bringe ihnen Grundsätze der „Unterstützten Kommunikation“ näher und versuche ihnen zu zeigen, worauf sie in der UK achten müssen.

Dann ist es mir sehr wichtig mit den Schülerinnen und Schülern Selbsterfahrungsübungen zu machen, damit sie am eigenen Leib erfahren, wie schwierig es ist, sich ohne Stimme mitzuteilen und wie eingeschränkt man dabei ist. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sich die Kinder und Jugendlichen darauf einlassen können und wie tief sie das Erlebte reflektieren. Sie erkennen sehr schnell, worauf man achten muss.

„Give me five“ mit Raphael Donati

Worauf sollten Menschen beim Verwenden der „UK“ achten?

Raphael Donati: Es sollte allen bewusst sein, dass man „Unterstützte Kommunikation“ lernen kann. Voraussetzung dafür und für das anschließende Anwenden ist es, dass das Bewusstsein vorhanden ist, dass jeder Mensch kommunizieren und sich mitteilen möchte.  Man sollte sich informieren oder nachfragen, wie die betroffene Person kommunizieren will und kann.

Wenn man mit einer Person ohne Lautsprache kommuniziert, sollte man Blickkontakt halten und auf eine ruhige Umgebung achten. Dann sollte man sich Zeit nehmen und auch bereit sein auf die Antworten zu warten, denn das dauert meistens etwas länger. Wichtig ist auch, dass man nachfragt, ob man richtig verstanden hat. Das Allerwichtigste ist, dass man sein Gegenüber beobachtet, denn dann kann man schon viel verstehen.

Gibt es Tipps wie man in einer Klasse gut mit „UK“ arbeiten kann?

Raphael Donati: Es gibt viele kleine Dinge, die man ganz einfach umsetzen kann.

Zu Beginn eines Schuljahres wäre es wichtig, wenn alle in der Klasse sich mit “einer Seite über mich” vorstellen würden. Dabei kann man darauf achten, was man gut kann, was man gerne macht oder wo man Unterstützung braucht. Wenn jemand in der Klasse ist, der nicht so gut sprechen kann, dann kann man auch noch Tipps für die „UK“ dazuschreiben und welche Hilfsmittel für ihn oder sie wichtig sind. Ich finde das eine gute Möglichkeit, Informationen zu einem selbst mitzuteilen. Dieses Blatt könnte man dann schön gestalten und in der Klasse aufhängen. So können alle Schülerinnen und Schüler und Lehrpersonen jederzeit draufschauen und es bietet viele Möglichkeiten miteinander ins Gespräch zu kommen. Auch wenn eine neue Person in die Klasse kommt, hat sie schnell einen Überblick.

Dann könnte man Bildkarten für Alltags- oder Unterrichtssituationen in der Klasse verwenden, das könnte, je nach Altersstufe für alle Schülerinnen und Schüler eine gute Unterstützung sein.

Die Arbeit in Kleingruppen ist für alle Schülerinnen und Schüler hilfreich.

In der Schule sollten vor allem die engsten Bezugspersonen mit den Möglichkeiten von „Unterstützter Kommunikation“ vertraut sein und wissen, dass Sprachentwicklung mit „UK“ viel länger dauern kann.

Kinder, die sich mit „UK“ verständigen, haben fast keine Vorbilder, von denen sie lernen können und das ist mit ein Grund, warum das Lernen mit den Hilfsmitteln oft nur sehr langsam geht. Ich habe es selbst erlebt: wenn es nach einiger Zeit zu keinem Erfolgserlebnis kommt, wird das Hilfsmittel in Frage gestellt, beziehungsweise nicht mehr verwendet und das ist schade. „UK“ braucht Zeit.

Wie hast du während deiner Schulzeit Inklusion erlebt?

Raphael Donati: Ich finde es sehr wichtig, dass sich in einer integrierten Klasse alle für Inklusion zuständig fühlen. Ich habe immer wieder mitbekommen, dass Lehrpersonen gesagt haben, „… Das macht dann die Mitarbeiterin für Integration oder die Integrationslehrperson mit dir.“ Das ist sicher wichtig, dass mit einer Schülerin bzw. mit einem Schüler mit einer Behinderung direkt gearbeitet wird, aber ich habe es immer für bedeutsam erachtet, dass in der (Ober-)Schule die Rollen getauscht wurden und die Integrationslehrperson oder die Mitarbeiterin für Integration mit der Klasse gearbeitet hat, während die Fachlehrperson mit mir allein oder gemeinsam mit einer Gruppe Inhalte vertieft hat. So haben mich die anderen Lehrpersonen und auch meine Mitschülerinnen und Mitschüler besser kennen gelernt und konnten auch besser mit mir kommunizieren.

Am liebsten hatte ich es, wenn wir in kleinen Schülergruppen gearbeitet und gelernt haben. Das hat immer sehr viel Spaß gemacht und ich empfand das als sehr zielführend. Ich habe unter anderem von den anderen gelernt, wie sie sich die Sachen merken. Umgekehrt haben auch meine Mitschülerinnen und Mitschüler oft von mir gelernt, z.B. habe ich in Geschichte schon immer viel mit Schlüsselwörtern gelernt, weil es ja sehr mühsam ist, so viel aufzuschreiben und das haben meine Mitschülerinnen und Mitschüler dann wiederum hilfreich gefunden und davon profitiert.

Ich denke sehr gerne an meine Oberschulzeit zurück, es war eine Zeit, in der ich mich sehr wohl gefühlt habe. Ich konnte mich in vielen Bereichen weiterentwickeln und ich wurde von meinen Lehrpersonen, meiner Integrationslehrperson und meiner Mitarbeiterin für Integration richtig gut gefördert und unterstützt. Ich habe auch die gemeinsamen Erlebnisse mit meinen Klassenkameraden und -kameradinnen richtig genossen. Ich habe mich angenommen gefühlt und es war schön Teil dieser Gemeinschaft zu sein.

Ich denke, dass es noch viele Möglichkeiten gibt, damit Inklusion funktioniert, am wichtigsten finde ich aber, dass man den Mut hat sich darauf einzulassen.

Raphael Donati in Aktion.

Gibt es etwas, das du uns noch sagen möchtest?

Raphael Donati: Ja, und zwar, dass es jedem Menschen passieren kann, dass er nicht (mehr) sprechen kann. Das kann aufgrund einer Behinderung, einer Krankheit oder eines Unfalls sein. Aber erst als Betroffener merkt man, wie schwierig es ist, Ziele und Wünsche zu äußern oder sagen zu können, was man möchte oder braucht. Mir sind immer wieder Menschen in meinem Leben begegnet, die meinten, dass man dumm ist, nur, weil man nicht reden kann. Das ist sehr verletzend, weil es einfach nicht zutrifft. Oft ist es so, dass Menschen, die nicht sprechen können, dieselben Fähigkeiten wie andere Menschen besitzen, aber eben nur in ihrer Kommunikation eingeschränkt sind.

Menschen, die nicht reden können, werden auch oft fremdbestimmt oder ausgegrenzt und müssen das tun, was andere sagen. Auch das ist mir schon passiert.

Ich wünsche mir eine offene Gesellschaft, in der es normal ist, mit „UK“ zu kommunizieren. Ich wünsche mir auch, dass jeder Mensch, so leben kann, wie er es möchte, respektiert wird und seinen Platz in der Gemeinschaft hat.

Weitere Informationen zum Thema „Unterstützte Kommunikation“ finden sich auf der Homepage der Pädagogischen Abteilung – Amt für Beratung (Barrierefrei lernen | Didaktik und Beratung) und auf INFO digital („Unterstützte Kommunikation“ – Reden ohne Wörter! – Info digital).

Raphael arbeitet im Workshop aktiv mit den Schülerinnen und Schülern..
Redaktion INFO

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