Interview mit Frank Lipowsky 

„Der Transfer von Fortbildungsinhalten in die Breite einer Schule stellt eine erhebliche Anforderung dar“ 

Donnerstag, 14.9.2023

Erfolgreiche Fortbildungen für Lehrkräfte sind entscheidend für die kontinuierliche Verbesserung des Bildungssystems. Univ. Prof. Dr. Frank Lipowsky beleuchtet die Merkmale, Inhalte und den Transfer von wirksamen Fortbildungen.

In der aktuellen Bildungslandschaft sind wirksame Fortbildungen für Lehrkräfte von entscheidender Bedeutung, um die Qualität des Unterrichts und das Lernen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass erfolgreiche Fortbildungen nicht nur auf die richtigen Inhalte setzen, sondern auch die Gestaltung und Umsetzung in den Fokus rücken müssen. 

INFO sprach mit dem Universitätsprofessor Frank Lipowsky, der sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt und zur Zeit (13./14.9) in der Fortbildungsakademie Schloss Rechtenthal zum Thema referiert. 

Herr Lipowsky, wovon sind wirksame Fortbildungen gekennzeichnet?

Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass es zum einen auf die Inhalte der Fortbildung ankommt und dass zum anderen die Gestaltung und Durchführung der Fortbildung eine wichtige Rolle spielen. Wir wissen zum Beispiel aus der Unterrichtsforschung, dass die sogenannten Tiefenmerkmale von Unterricht das Lernen und die Motivation von Schülerinnen und Schülern fördern und unterstützen. Hierzu gehören etwa die kognitive Aktivierung, also inwieweit der Unterricht die Lernenden zum Nachdenken herausfordert, ein konstruktives Feedbackverhalten der Lehrkraft oder die Anregung der Lernenden zur Anwendung von Lernstrategien. Es liegt also auf der Hand, dass wirksame Fortbildungen diese Tiefenmerkmale von Unterricht in den Mittelpunkt rücken, von denen man also bereits weiß, dass sie für das Lernen und die Motivation der Lernenden wichtig sind.  

Wie sollten diese Fortbildungen inhaltlich aufgebaut sein?

Sie sollten inhaltlich in die Tiefe gehen. Wirksame Fortbildungen haben also eher einen engen inhaltlichen und fachlichen Fokus und sind nicht breit angelegt. Es geht in den Fortbildungen also zum Beispiel um bestimmte Lesestrategien, das Bruchrechnen oder um eine bestimmte Unterrichtseinheit im naturwissenschaftlichen Unterricht.  

In Fortbildungen mit einer solchen „Tiefenbohrung“ setzen sich die Lehrkräfte auch häufig mit den Denkwegen der Lernenden, mit ihren Schwierigkeiten und Vorstellungen auseinander, um diese besser zu verstehen und daran anknüpfen zu können.  

Ein Merkmal wirksamer Fortbildungen ist, dass Lehrpersonen nicht nur neue Erkenntnisse erlangen, sondern auch Gelegenheit bekommen, diese konkret in ihrem Unterricht zu erproben und umzusetzen.

Sind solche „wirksamen Fortbildungen“ rein theoretischer Natur?

Nein. Ein weiteres Merkmal wirksamer Fortbildungen ist, dass Lehrpersonen nicht nur neue Erkenntnisse erlangen, sondern auch Gelegenheit bekommen, diese konkret in ihrem Unterricht zu erproben und umzusetzen. Dies setzt Fortbildungsreihen voraus. One-Shot-Fortbildungen eignen sich also weniger, wenn man unterrichtliches Handeln von Lehrkräften weiterentwickeln möchte. In Verbindung mit der konkreten Anwendung im eigenen Unterricht ist ein weiteres Merkmal wirksamer Fortbildungen, dass die Lehrkräfte Feedback zu ihrem Handeln im Unterricht erhalten und hierüber reflektieren.  

Wie sieht es mit der Bereitschaft von Lehrpersonen aus, Erkenntnisse der Fortbildung umzusetzen?

Lehrkräfte entwickeln ihren eigenen Unterrichtsstil und bauen Routinen auf, die sich für sie selbst bewährt haben. Wenn man diese Handlungsweisen und Routinen durch eine Fortbildung weiterentwickeln oder verändern möchte, muss man als Fortbildnerin und Fortbildner teilweise mit Widerstand rechnen. Man muss nämlich den „Beweis“ erbringen, dass die in der Fortbildung behandelten Inhalte oder Praktiken zu einem besseren Unterricht beitragen und das Lernen der Schülerinnen und Schüler mindestens genauso gut fördern wie der bisherige Unterricht der Lehrkräfte. Daher ist es wichtig, den Lehrpersonen bewusst zu machen, wie die durch die Fortbildung angestrebte Praxis das Lernen der Schülerinnen und Schüler beeinflusst. Zudem ist es wichtig, dass Fortbildungen die unterrichtsbezogene Kooperation von Lehrpersonen stärken. So können die Lehrkräfte auch zwischen einzelnen Fortbildungsbausteinen gemeinsam weiter an den Inhalten arbeiten, diese breiter in ihrer Schule implementieren und sich wechselseitig Rückmeldungen geben.  

Gibt es ein Best-Practice Beispiel?

Es gibt zahlreiche Beispiele wirksamer Fortbildungen, deshalb fällt die Wahl nicht leicht. In einer amerikanischen Fortbildung stand zum Beispiel die Interaktionsqualität von Lehrpersonen im Unterricht im Mittelpunkt. Dabei wurde auch Bezug genommen auf die genannten Tiefenmerkmale von Unterrichtsqualität. Die Lehrpersonen videografierten ihren Unterricht und luden kürzere Videoclips auf eine Plattform hoch. Ein Coach schaute sich die Clips an und traf sich dann mit jeder Lehrperson virtuell, um die Interaktionen zwischen den einzelnen Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern einer gemeinsamen Analyse zu unterziehen. Hierbei stand vor allem im Mittelpunkt, wie die Aktionen der Lehrperson und der Lernenden zusammenhängen und miteinander verwoben sind. Eine Coachingsitzung endete dann mit einer Art Aktionsplan, den jede Lehrperson bis zur nächsten Coachingssitzung in ihrem Unterricht umzusetzen versuchte. Dann begann der Kreislauf von neuem. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass sich die Qualität unterrichtlicher Interaktionen bedeutsam verbesserte und dass sich diese Steigerung der Unterrichtsqualität auch positiv auf die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler auswirkte.  

Man sieht an diesem Beispiel gut, wie wichtig es ist, dass Fortbildende wissen, was erfolgreichen und wirksamen Unterricht auszeichnet. Hierbei ist nicht immer der erste Schein, der erste Blick entscheidend, sondern die sogenannten Tiefenmerkmale des Unterrichts, die man erst bei genauerem Beobachten erkennt. Hierzu zählen zum Beispiel die kognitive Aktivierung, die Förderung des Erwerbs und der Nutzung von Lernstrategien, die Art und Weise, wie gut, anschaulich und verständlich die Lehrperson erklärt, das Feedbackverhalten der Lehrperson und die Qualität des kooperativen Lernens. Auch fachliche Aspekte spielen eine wichtige Rolle.  

Wenn von vorneherein viele Lehrkräfte der Schule in die Fortbildung eingebunden sind, verfügen mehr Personen über entsprechende Erkenntnisse und können bei der Umsetzung miteinander kooperieren, was vielen Lehrkräften entgegenkommt und zudem noch Spaß machen kann.  

Von der Theorie zur Praxis: Oftmals werden Fortbildungsinhalte im Schulalltag nicht umgesetzt. Welche Ressourcen, schulinterne Begleitung, Reflexionsphasen usw. wären für einen reibungslosen Transfer von Fortbildungsinhalten in die Praxis notwendig?

Das ist ein wichtiger Themenkomplex. Zum einen ist es wichtig, dass die Fortbildung nicht mit der letzten Veranstaltung endet, sondern dass es quasi auch eine Art (Nach-)Begleitung der Lehrkräfte in ihrem Unterricht geben sollte. Häufig fehlen hierfür aber die Ressourcen. Eine weitere Maßnahme, die zur Umsetzung der  Fortbildungsinhalte beitragen kann, ist die Teilnahme mehrerer Lehrkräfte einer Schule an der Fortbildung. Dann können sich diese bei der Anwendung der Fortbildungsinhalte gegenseitig unterstützen und sich zum Beispiel auch Feedback zu ihren Umsetzungsversuchen geben.

Schließlich ist es auch wichtig, dass sich sowohl die Seite der Fortbildenden als auch die Schulleitungen vorab konkrete Gedanken darüber machen, wie die Fortbildungsinhalte in der Schule nachhaltig umgesetzt werden können. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass sich die Fortbildenden einen Eindruck davon verschaffen, was von den Fortbildungsinhalten tatsächlich in der Praxis angekommen ist. Das setzt voraus, dass die Fortbildenden eine konkrete Vorstellung davon haben, woran sich die Wirksamkeit ihrer Fortbildung ablesen lässt.  

Die Vorstellung, dass Lehrkräfte, die an der Fortbildung teilgenommen haben, die Inhalte der Fortbildung in einem Kurzvortrag auf einer Konferenz an ihre Kolleginnen und Kollegen einfach so „weitergeben“ können, sodass sich der Unterricht in der ganzen Schule verändert, ist leider wenig erfolgversprechend. Der Transfer von Fortbildungsinhalten in die Breite einer Schule stellt also eine erhebliche Anforderung dar. Wenn von vorneherein viele Lehrkräfte der Schule in die Fortbildung eingebunden sind, verfügen mehr Personen über entsprechende Erkenntnisse und können bei der Umsetzung miteinander kooperieren, was vielen Lehrkräften entgegenkommt und zudem noch Spaß machen kann.  

Redaktion INFO

Interview mit Frank Lipowsky 

„Jeder Mensch ist musikalisch“ 

Donnerstag, 14.9.2023

Carl Orffs „Orff-Schulwerk“ hat die musikalische Bildung nachhaltig geprägt. Mit einfachen Instrumenten wie Klanghölzern und Glockenspielen ermöglicht es Kindern, Musik spielerisch zu erleben und gleichzeitig grundlegende Fähigkeiten wie Rhythmusgefühl, Kreativität und soziale Kompetenzen zu entwickeln. 

mehr dazu…

Interview mit Frank Lipowsky 

Der Maler Miró

Donnerstag, 14.9.2023

Im Kindergarten St. Jakob/Grutzen wurde ein kreatives Projekt über den Maler Joan Miró durchgeführt. Vorschulkinder entdeckten seine Werke, schufen eigene Kunstwerke und erlebten seine einzigartige Bildsprache durch kreative Aktivitäten. Die Kindergärtnerin Astrid Mayr und die Sprachkindergärtnerin Micaela Callegari berichten über den Ablauf des Projekts.

mehr dazu…

Im Fokus

  • Pilotschulen auf einem guten Weg
    Das Projekt der Deutschen Bildungsdirektion „Wege in die Bildung 2030 – guter Unterricht in der inklusiven Schule“ geht in sein zweites Jahr. Ein Rück- und Ausblick kommt von Anna Webhofer, Koordinatorin der Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter (im Bild rechts).
  • Aus Sicht der Bildungsforschung: Stellungnahme zur Debatte um die Einrichtung einer Sonderklasse
    Zwei Professorinnen der Freien Universität Bozen, Simone Seitz und Heidrun Demo, Direktorin und Vizedirektorin des Kompetenzzentrums für Inklusion im Bildungsbereich, haben eine Stellungnahme zur Debatte um die Entwicklung einer Sonderklasse aus Sicht der Bildungsforschung abgegeben.
  • Stress im Klassenzimmer: Warum Lehrkräfte oft an ihre Grenzen stoßen und was hilft 
    Im INFO-Interview sprechen Gudrun Schmid und Dorothea Staffler, Beraterinnen im Bereich Gesundheitsförderung an der Pädagogischen Abteilung, darüber, warum der Lehrberuf belastender als andere Berufe ist, und welche Präventionsmaßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Gesundheit ergriffen werden können.  
  • „Jedes Kind ist einzigartig“ 
    Lernstörungen wie die Lese-Rechtschreibstörung (LRS) und Dyskalkulie können Kinder und Jugendliche betreffen, obwohl sie gute kognitive Fähigkeiten besitzen. Diese Störungen zeigen sich durch anhaltende Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben oder Rechnen und können bereits in der Grundschulzeit auftreten. Die Psychopädagoginnen des Pädagogischen Beratungszentrums in Bozen Alrun Trebo und Kathrin Unterhofer erklären im Interview die Definitionen, Erkennungskriterien und Unterstützungsmöglichkeiten für betroffene Schülerinnen und Schüler. 
  • „Niemand braucht sich Sorgen zu machen“
    Gertrud Verdorfer ist Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung, der sich zuletzt auf Neuregelungen in einigen Bereichen der Orthografie verständigt hat. Die seit Kurzem pensionierte ehemalige Direktorin der Pädagogischen Abteilung über die konkreten Änderungen und warum eine richtige Rechtschreibung in Zeiten von KI überhaupt noch wichtig ist.
More…