Auf ein Wort mit…

Max Silbernagl

Donnerstag, 4.4.2024

Michaela von Wohlgemuth, Uli Gruber und Marina Kuppelwieser vom Referat Inklusion mit Max Silbernagl (rechts) und seinem Assistenten Thomas Trenkwalder

Der vielseitige Kulturschaffende Max Silbernagl sitzt im Rollstuhl und lebt sein Leben selbstbestimmt. Kürzlich stattete er dem Referat Inklusion in der Deutschen Bildungsdirektion einen Besuch ab und erzählte aus seiner Schulzeit und seinem aktuellen Leben.

„Inklusion”, sagt Max Silbernagl, “kann dann gelingen, wenn die Menschen keine Angst vor dem Anderssein und vor dem Anderen haben.” Denn Angst bedeute für ihn Stillstand. „Wenn man Angst hat, macht man Sachen nicht und das ist schade. Besser wäre, wenn die Menschen nachfragen oder beobachten, was man gerade braucht”, erzählt der gebürtige Seiser, der seit Jahren als Kulturschaffender von sich reden macht. Mit seiner Band Chaos Junkies rockt er regelmäßig Südtirols Bühnen, kürzlich erschien sein neues Buch: „Der Kompass mit all seinen Tücken”. Darin macht er sich mit viel Humor und einer ausgezeichneten Beobachtungsgabe Gedanken zu allem Möglichen und Unmöglichen.

Kürzlich stattete der heute 29-Jährige dem Referat für Inklusion in der Deutschen Bildungsdirektion einen Besuch ab und erzählte aus seiner Schulzeit, bei der er immer auf fremde Hilfe angewiesen war.

Aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung wurde er in der Schule (bis zur Mittelschule in Seis, dann an der Wirtschaftsfachoberschule in Bozen) von einer Mitarbeiterin für Integration und von einer Integrationslehrperson begleitet. Mit zunehmendem Alter wurde die Stundenanzahl der Betreuung verringert, auch um die Selbständigkeit zu fördern. Leider gab es viele Wechsel der Betreuungspersonen, das empfand er als problematisch. Lediglich in der Mittelschule wurde er von derselben Mitarbeiterin für Integration begleitet, das war „cool, auch weil man sich dann besser kennt und sich aufeinander einstellen kann”, so Max Silbernagl.

Erinnerungen an die Schulzeit

Die letzten drei Jahre der Oberschule verbrachte er in Bozen, anfangs im Kolpinghaus und später in einer Wohngemeinschaft. Er wollte immer selbstbestimmt leben und sein eigenes Geld verdienen. Allerdings hatte er in dieser Zeit einen „Durchhänger“, wie er sagt, und wollte die Schule abbrechen. Die Mitarbeiterin für Integration habe ihn aber davon überzeugt, weiterzumachen, wofür er ihr immer noch dankbar sei, betonte er.  Dennoch sind es nicht nur positive Erinnerungen, die er an diese Zeit hat. Einige seiner Lehrerinnen und Lehrer behandelten ihn „normal“, also wie seine Schulkolleginnen und -kollegen, andere am Schulleben beteiligte Personen weniger, da einige vermutlich Angst hatten, ihn auch nur zu berühren, “was heute auch noch so ist”, glaubt Silbernagl. Manchmal musste er sogar zu Hause bleiben, wenn die Mitarbeiterin für Integration krank oder abwesend war, da niemand da war, der ihn im Bedarfsfall auf die Toilette begleiten hätte können.

Außerdem machte er mehrmals die Erfahrung, dass sich die Menschen nicht für ihn oder seine „besonderen“ Belange zuständig fühlten. Der ständige Wechsel seiner direkten Bezugsperson, der Mitarbeiterin für Integration, und die Stundenreduzierungen für ihn, machten ihm zu schaffen. Aber noch mehr der Umstand, dass er zu oft auf Barrieren stieß: auf bauliche, aber besonders auf jene in Köpfen. So war zum Beispiel das Behindertenklo eine Rumpelkammer und wurde „nebenbei“ als Abstellkammer für das nichtunterrichtende Personal verwendet. Bei Schulausflügen musste er immer mit dem für ihn bereit gestellten “Behindertenbus” fahren, weil die öffentlichen Busse nicht behindertengerecht waren. Und er musste etwa bei einer Besichtigungstour oft in einem Gasthaus warten, weil die Strukturen nicht barrierefrei waren. Im Fach Bewegung und Sport konnte er immer nur zuschauen, machte abseits von den anderen seine Übungen oder war bei der Physiotherapie. 

Zwar hat Max Silbernagl die mehrtägigen Ausflüge positiv in Erinnerung, aber diese waren vor allem eines: schwer zu organisieren, damit er mitkonnte. Manchmal sprang auch eine Privatperson in die Bresche und übernahm die Betreuung auf der Reise. Zumindest war er dabei in der Gruppe, mit seinen Klassenkolleginnen und -kollegen. Im Schulalltag war das nicht immer der Fall, da musste er meistens in einer anderen Klasse mit anderen Integrationsschülern Unterrichtsstoff bearbeiten. Die Matura schaffte er nicht “zieldifferent” mit einer Kompetenzbescheinigung, sondern “zielgleich” wie alle anderen. Trotz aller Schwierigkeiten fällt sein Fazit zu seiner Schulzeit positiv aus. Im Allgemeinen sei die Schule für Menschen mit Behinderung in Südtirol gut aufgestellt, während das Leben außerhalb und danach für Silbernagl in Österreich besser organisiert sei.

Leben in Innsbruck

Dorthin hat es den jungen Mann seit einiger Zeit verschlagen. Er lebt in Innsbruck, wo er ein Studium begann, aber mittlerweile wieder aufgab. Wenn er nach Südtirol kommt, ist er mit dem eigenen Auto und einer persönlichen Assistenz unterwegs, weil die öffentlichen Verkehrsmittel nach wie vor nicht ideal sind, um sich selbständig fortzubewegen. Eine solche persönliche Assistenz braucht Max für alle lebenspraktischen Dinge. In Südtirol gibt es eine solche nicht, in Österreich sehr wohl. Deshalb hat sich Silbernagl entschlossen, seinen Hauptwohnsitz nach Innsbruck zu verlegen.

Eine persönliche Assistenz wird ihm dabei vom Verein „Selbstbestimmt Leben in Innsbruck“ organisiert: Zwölf Stunden pro Tag wird er von sechs Assistenten und einer Assistentin begleitet, die sich die Arbeit aufteilen. Die Assistenz zieht sich durch sein gesamtes Leben. Manchmal wechseln die Assistenten auch, wobei Max diesem Umstand auch etwas Positives abgewinnen kann: Er kann immer wieder etwas Neues lernen.

In Südtirol erhält Silbernagl derzeit als persönliches Budget den „Beitrag für selbstbestimmtes Leben und soziale Teilhabe“. Einen solchen Antrag zu stellen, ist mit viel Bürokratie verbunden, und es ist nicht gesagt, dass man ihn dann auch bekommt. Außerdem bezeichnet er die Vorgehensweise, um diese Unterstützung zu bekommen, als “diskriminierend”. So habe er die Erfahrung gemacht, dass man im zuständigen Amt vor mehreren anwesenden Menschen sagen muss, “wie viel Geld man auf dem Konto hat und über welches Vermögen man verfügt”, kritisiert Silbernagl.  Er würde sich mehr Diskretion und weniger Bürokratie wünschen. Auch findet er die Berechnung des persönlichen Budgets ungerecht, da auch das Familieneinkommen miteinbezogen wird. So wird ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben erschwert.  

Trotz aller Hindernisse: Max Silbernagl ist mit seinem Leben zufrieden, “wie es ist, es passt gut, so wie es ist”, so der junge Mann. Was die Zukunft bringen soll? Er würde gerne vom Schreiben, von seiner Musik leben können, eine eigene Familie gründen und mehr unterwegs sein.

Michaela von Wohlgemuth - Referat Inklusion